„Mir ist wichtig, dass unsere Patienten wissen: Ich gerate hier nicht in eine Therapie-Mühle. Ich zähle als Person.“
Schock, Angst, Trauer, vielleicht auch Wut: Die Diagnose Krebs versetzt die meisten erst einmal in einen psychischen Ausnahmezustand. „Viele Patienten sind total überrollt von der Situation, haben Unmengen von Fragen, die ihnen im Kopf herumschwirren. Gleichzeitig stehen wichtige Therapieentscheidungen an“, weiß Dr. Stefan Hiller, Leitender Arzt des Zentrums für Integrative Onkologie an der Filderklinik. Im Beratungsgespräch will der erfahrene Onkologe seine Patient/innen dabei unterstützen, die Situation zu ordnen. Er erklärt, welches schulmedizinische Behandlungskonzept im individuellen Fall die besten Chancen verspricht und zeigt auf, wo die Filderklinik als anthroposophisches Krankenhaus zusätzliche Akzente setzen kann.
Im Beratungsgespräch geht es natürlich in erster Linie um eine konkrete Therapieempfehlung. Worauf fußt diese Empfehlung? Grundlage ist eine umfangreiche Diagnostik. Neben einer eingehenden körperlichen Untersuchung gehören dazu verschiedene apparative und labormedizinische Diagnoseverfahren, die alle in der Filderklinik durchgeführt werden können. Doch auch Patient/innen, die ihre Diagnose in einem anderen Krankenhaus bekommen haben, können mit ihren Untersuchungsergebnissen zu Dr. Hiller kommen, sich eine Zweitmeinung einholen und sich über das Behandlungsangebot der Filderklinik informieren.
Die Untersuchungsergebnisse werden von erfahrenen onkologischen Fachärzt/innen gemeinsam mit Kolleg/innen aus anderen Disziplinen besprochen. In den sogenannten Tumorboards bewerten sie jeden Fall individuell. Die Therapieempfehlung des interdisziplinären Tumorboards orientiert sich an den aktuellsten wissenschaftlichen Standards, den sogenannten medizinischen Leitlinien. Das sind systematisch entwickelte Handlungsempfehlungen, die auf weltweit erprobten onkologischen Konzepten beruhen.
In der Krebstherapie, so Dr. Hiller, zähle jedoch neben wissenschaftlichen Standards noch etwas anderes:
„Als anthroposophisches Krankenhaus legen wir besonderen Wert auf eine ganzheitliche Sichtweise.“
Dr. Stefan Hiller
"Im Beratungsgespräch versuche ich, die individuelle Lebenssituation des Patienten zu erfassen. Welche Vorstellung hat er von seinem Krankheitsverlauf? Welche Wünsche hat er für sein weiteres Leben – für das nächste halbe Jahr, für die weitere Zukunft?“ Dr. Hiller erklärt an einem Beispiel, warum das eine so große Rolle für die Therapieplanung spielt: Ein Patient leidet unheilbar an Schilddrüsenkrebs. Will er sein Leben solange wie möglich verlängern, um vielleicht noch die Hochzeit des Sohnes mitzuerleben? Nimmt er dafür die Nebenwirkungen einer aggressiven Therapie, die den Tumor auf Zeit zurückdrängt, in Kauf? Oder ist es ihm wichtiger, in einer vielleicht kürzeren Spanne möglichst viel Lebensqualität zu haben?
Gerade im Bereich der Palliativmedizin gebe es nicht den einen richtigen Weg, betont der Experte. Das sieht auch die Wissenschaft so: „Die medizinischen Leitlinien sehen bei unheilbar kranken Patienten ein Spektrum an Therapiemöglichkeiten vor.“ Weniger Spielraum gibt es bei einer sogenannten adjuvanten Therapie, die auf Heilung abzielt: „Einer Brustkrebspatientin, bei der der Tumor noch nicht gestreut hat, empfehlen wir ganz klar die Therapie, die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen die größten Heilungschancen verspricht.“
Trotz Standards und Leitlinien will er Ängste und Sorgen, die die Patient/innen mit einer konkreten Therapie verbinden, nicht einfach unter den Teppich kehren. „Mir ist wichtig, dass unsere Patienten wissen: Ich gerate hier nicht in eine Therapie-Mühle. Ich zähle als Person.“ So versucht er, die individuellen Wünsche der Patienten in die Therapieplanung mit einzubeziehen. Wieder schildert er ein Beispiel: „Chemo-Patienten bekommen in der Regel einen dauerhaften Zugang von außen in die Vene gelegt, einen sogenannten Portkatheter. Manche Patienten finden diese Vorstellung unangenehm oder haben Angst davor. Dann denken wir im Beratungsgespräch gemeinsam über Alternativen nach, zum Beispiel eine Therapie auf Tablettenbasis.“
Im Beratungsgespräch geht es nicht nur um schulmedizinische Behandlungskonzepte. „Das Besondere an der Filderklinik ist, dass unsere Fachärzte nicht nur sehr erfahrene Onkologen sind, sondern zusätzlich über umfangreiches Wissen im Bereich der Integrativen Medizin verfügen“, sagt Dr. Hiller. So bespricht Dr. Hiller mit den Patient/innen auch, welche Bausteine der Anthroposophischen Medizin die onkologische Therapie sinnvoll ergänzen können. Ziel dieser zusätzlichen Angebote ist es, das Immunsystem und die Selbstheilungskräfte zu stärken, die Lebensqualität zu verbessern, Symptome der Krebserkrankung zu behandeln und Nebenwirkungen der onkologischen Therapie zu lindern. Das Spektrum ist breit: Da sind zum Beispiel Medikamente wie die Misteltherapie, die Hyperthermie, aber auch künstlerische Therapien, Heileurythmie, äußere Anwendungen, rhythmische Massage oder Biographiearbeit. Auch Physiotherapie, Ernährungsberatung und eine Begleitung durch die Psychoonkologie können sinnvolle Therapiebausteine sein.
Das Ziel jedes Beratungsgesprächs, betont Dr. Hiller zum Schluss, sei es, bestmöglich aufzuklären. Die Entscheidung liege letztendlich aber beim Patienten: „Ich erkläre objektiv: Wenn Sie eine Chemotherapie machen, haben Sie eine statistische Lebenserwartung von ca. drei Jahren, ohne Chemo liegt sie bei ca. sechs Monaten. Entscheidet sich der Patient trotzdem gegen eine Chemotherapie, verstoßen wir ihn oder sie aber nicht, sondern zeigen auf, mit welchen Behandlungsmöglichkeiten wir seine letzte Lebensphase möglichst positiv gestalten können.“